Glück auf, Freunde der Heimat!

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Ich sitze im Konvent des Ursulinenklosters in Duderstadt und bemerke, dass ich schon ziemlich lange nichts mehr geschrieben habe. Das liegt daran, dass mich ein schwerer viraler Infekt fast dahin gerafft hat. Ich bin dem Tod praktisch nur knapp von der Schippe gesprungen. Um hier mal ein bisschen Dramaturgie einzubauen. Diese lebensbedrohliche Erkältung hat mich in den letzten fünf Tagen ganz schön ausgebremst, ich habe, nein, ich MUSSTE notgedrungen zwei Etappen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigen, nachdem ich mich wie eine Schnecke bis zur Burg Hanstein geschleppt und bemerkt habe, dass ich eine Auszeit brauche. Es ging mir sogar so schlecht, dass ich nicht mehr draußen schlafen konnte, man mag es nicht vermuten, aber so langsam habe ich nämlich Gefallen daran gefunden, mein Zelt aufzubauen und auf meinem Campingkocher unter freiem Himmel zu kochen. Man muss sich nur seinen Ängsten stellen. Die ersten drei Tage verbrachte ich dann im Heilbad Heiligenstadt, wobei diese Stadt auf mich so gar keinen heilsamen Einfluss hatte und beschloss dann, mich im Kloster in Dudelsack…äh…Duderstadt auf meinen Tod vorzubereiten. Der jedoch nicht eintrat. Es ging mir sogar von Tag zu Tag besser. Das Fazit: in meinem Geldbeutel laufen sich durch die preisintensiven Unterkünfte die Mäuse Blutblasen und mein Zeitplan ist ruiniert: Ich habe noch 24 Tage für 28 Etappen und gerade einmal die Hälfte der Gesamtstrecke geschafft. Der Zeitplan ist also sehr straff!

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Manchmal komme ich mir vor, wie…

Und: Ich bin IMMER NOCH in Thüringen. Du meine Güte, ist dieses Land groß! Thüringen ist kein Land, sondern eine Welt. Mittlerweile habe ich  Hessen auch schon wieder hinter mir gelassen und links von mir befindet sich Niedersachsen. Und noch immer bin ich in Thüringen! Drei westliche Bundesländer benachbaren dieses „Reich“, nur damit man mal eine Vorstellung bekommt, wie groß das Gebiet ist, von dem ich hier spreche. Es besitzt einen mehr als 50%-igen Anteil am Grünen Band Deutschland, das entspricht 763km der ehemaligen innerdeutschen Grenze.

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… und dann bekomme ich eine Ahnung davon, wo ich mich befinde.

Ich bin schon völlig Thüringen-geflasht und Spießbraten-gesteuert. Doch die lieben Schwestern hier im Convent haben mir die letzte Übernachtung nur zur Hälfte berechnet und zusammen mit meinem sich allmählig besserndem Gesundheitszustand starte ich morgen frohen Mutes in ein neues Outdoorabenteuer. Grenzweg Part Two. Ich versuche, die letzten Tage zusammenzufassen. Am besten, ihr nehmt euch diesmal ein wenig Zeit für den Beitrag;-) . Es ist einiges passiert!

Mit Vacha lasse ich die letzten Ausläufer der Rhön hinter mir und begebe mich durch Birkenwäldchen, sanften Hügelketten, über Viehweiden, Felder und Ginsterheiden in das Land der „Land der weißen Berge“ – die Steinsalzhalden des Kalibergbaus in Osthessen und das Thüringischen Werragebiet, der Fluss, der jahrzehntelang die Grenze zwischen Ost und West markierte. Der Monte Kali, auf den Bildern im Hintergrund ist 200m hoch, 1,2km lang und 600m breit. Er wächst stetig, sein Salz ist ein Abfallprodukt der Kaliförderung und könnte alle europäischen Haushalte 1Jahr lang mit Salz versorgen.

In Berka an der Werra befindet sich ein Zeltplatz, zudem meine Mutter ein von mir vorbereitetes Paket schickte. Eines von zweien. Das erste nach 4 Wochen, das zweite nach 7 Wochen. Dieses Paket war praktisch eine Nachlieferung an Vorräten, die mir bis dato zur Neige gingen und unterwegs schwer zu besorgen sind. Und eine kurze Hose. Denn die Tage (und Nächte-juhu!) werden nun deutlich wärmer. In der Nacht auf dem Zeltplatz regnete es in Strömen, aber auch das muss man wahrscheinlich mal mitgemacht haben, und durch die neuen Vorräte hatte mein Rucksack am darauffolgenden Tag sein Höchstgewicht von 18kg erreicht. Doch, ich denke mir, ich gehe die Sache wie ein Sherpa, ein Hochgebirgsträger, an und steigere allmählig die von mir zu tragende Last, ohne mich dabei zu überfordern. Der menschliche Körper vermag mehr zu leisten als man denkt. Dennoch, an diesem Tag, auf den 25km nach Herleshausen wandere ich nicht, ich trage meinen Rucksack.

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Kaum ist die Mauer weg, zerschneidet ein neues Betonbauwerk Deutschland: die A4

Es ist erstaunlich, wie souverän ich diese Strecke geschafft habe und dass ich am nächsten Tag noch auf den Beinen stehen konnte. Der Grund dafür war (ganz bestimmt): Der Zauberwald!!! Ich rede vom Kohlbachwald und dem Weg dahin und aus ihm hinaus. Kilometerlanger Kolonnenweg von Pionierwald gesäumt, der sich zu meiner Freude zu einem Urwald entwickeln durfte. Hier herrscht die Natur und doch wandele ich auf einer bizarren 10m-breiten Schneise durch diese Wildnis. Dann biegt das Grüne Band in weitem Bogen vom Grenzstreifen ab und mich erwartet ein liebliches Waldwiesental, in dem sich die Vögel mit ihrem Gezwitscher praktisch überbieten und mir ungeahnte Glücksgefühle verschaffen. Die schönste musikalische Begleitung, die ich jemals hatte. Ich erreiche die Kohlbachquelle, ergötze mich an dem kühlen, frischen Wasser und stelle wieder einmal fest, wie wenig der Mensch braucht, um glücklich zu sein. Weiter geht es durch märchenhafte Hochwälder, die nach dem anhaltenden Regen der letzten Tage saftig und dunkelgrün in der Sonne glitzern und Nebelschwaden aufsteigen lassen. Es riecht nach Wald, nach Tannen, Pilzen und frischem Waldboden. Eine unbeschreibliche Atmosphäre. Stundenlang keine Menschenseele. Nur ich und die Natur. Wer diese Monotonie, diese Stille, diese Entschleunigung und tiefe Erdung fühlt, taucht in die Tiefen seiner Seele und ist trotzdem so allgegenwärtig wie selten. Wer durch diesen Wald geht, ist allein mit sich, seinen Gedanken und der heilsamen Natur. Er wird ein anderer sein, wenn er aus ihm hinausschreitet. Denn diese Fülle an Natur lässt keine destruktiven Gedanken zu. Die Natur will wachsen und gedeihen und strebt unaufhörlich nach Gleichgewicht. Diese Energie überträgt sie an den schweigenden Wanderer. Am Ende des Waldes begrüßt mich wieder einmal die Werra, der Grenzfluss mit der traurigen Geschichte und begleitet von Steilhängen auf einer mayestätisch anmutenden Allee erreiche ich in der Dämmerung erschöpft, aber glücklich mein Ziel. Der Herbergsvater und seine freundliche Schäferhündin erwarten mich bereits am Eingangstor des Bauernhofes und er verspricht mir am darauffolgenden Tag eine exklusive Führung auf der nahen Brandenburg, die aufgrund ihrer Lage in unmittelbarer Grenznähe zu DDR-Zeiten ein Dornrößchenschloss-Dasein fristete und unbegründet im Schatten der nur 10km entfernten Wartburg steht. Diese Impressionen noch einmal in Bild und Ton:

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Meine Fresserei hat übrigens in Herleshausen ihren Höhepunkt erreicht. Schon beim Besuch der Brandenburg, und das war kurz nach dem Frühstück und ich noch keinen Meter gelaufen, frohlockte am Horizont das goldgelbe „M“.

Und als mich Herr Schneider nach seiner Burgführung zurück zum Grünen Band bringt, ziele ich erstmal, nachdem ich mich versichert habe, aus seinem Blickfeld verschwunden zu sein, mit tropfendem Zahn den heißersehnten Fresstempel an. Ein Mc Donalds, der direkt am Grenzweg liegt, diese Möglichkeit ergibt sich wahrscheinlich auf meiner gesamten Strecke vom Vogtland zur Ostsee ein einziges Mal. Es ist selbstredend, das ich da hin muss. Also, das gehört praktisch zu meinem Bildungs-und Kulturauftrag! Die Quittung bekomme ich anschließend allerdings knallhart nach wenigen Kilometern Fußmarsch.20160530_145125 Die Glieder werden immer schwerer, es macht sich eine unsägliche Müdigkeit breit und jeder Schritt kostet unendlich viel Kraft. Ich halte aller ein paar Meter an, weil ich aus der Puste bin und bewege mich im Schneckentempo. Es ist unbeschreiblich. Dabei habe ich doch zum Maxi Bacon-Clubhouse-Beef-Menü mit Pommes, großer Cola und Mc Flurry SOGAR einen kleinen Salat gegessen…. Die über die Maßen unverhältnismäßige Reaktion meines Körpers ist mir ein Rätsel. Ich quäle mich durch den Wald, schleppe mich in den nächsten Ort und ein freundlicher, und wieder mal total cooler Ortsteilbürgermeister nimmt mich in seinem klapprigen Lieferwagen die letzten 7km mit nach Treffurt. Naja, auf jeden Fall bin ich jetzt geheilt und die Völlerei hat endlich ein Ende.

Im hessischen Bad Sooden-Allendorf, ein wunderschöner, fachwerkreicher Kurort mit Solequellen und Therme mache ich erste Erfahrungen mit einem „Gradierwerk“, ein Freiluftinhalatorium, von denen es heute nur noch sehr wenige gibt. Die Sole wird hier auf eine riesige Holzkonstruktion gepumpt, von wo aus sie über Schwarzdornreisig nach unten in Auffangbecken tropft und durch die Wasserverdunstung nochmals ihren Salzgehalt steigert. Das Endprodukt, die sogenannte „Gutsole“, hat nach diesem Vorgang einen Salzgehalt von 25%. Der Kurgast kann von diesem Prozess in der, das Gradierwerk umgebenden Wandelhalle profitieren. Die stark mit salzhaltigen Aerosolen angereicherte Umgebungsluft wirkt sich ähnlich wie bei Seeluft positiv bei Asthmatiker und Allergiker aus. Sie befeuchtet und reinigt die Atemwege und hat eine stark sekretlösende Wirkung.

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Und, wie es der Teufel will, es geht schon wieder um’s Essen: Ich befinde mich nun im „Ahle-Worschd-Land“. Aahle Worschd (mitteldeutsch für alte Wurst) ist eine grobe, luftgestrocknete Rohwurstspezialität aus Osthessen, die nur wenig Würzung erfährt und durch Nachreifung trotzdem eine intensiven Geschmack erhält. Die thüringische Antwort darauf ist der Feldgieker, ählich gemacht, doch dienen hier Kalbsblasen oder Schweinebauchfetthaut als Wursthülle, die ihr die typische Glockenform geben. Beide Wurstsorten sind leicht angeräuchert und außerdem als Stracke erhältlich (die schmalere Variante im Schweinedarm).
Mit Erreichen der Burg Hanstein, eine der schönsten Burgruinen Mitteldeutschlands, hoch über dem Werratal, bewege ich mich im Eichsfeld, eine Region im äußersten Südosten von Niedersachsen und Nordwesten von Thüringen. Eine zutiefst verwurzelte katholische Enklave, die auch das SED-Regime zu DDR-Zeiten nicht aufzubrechen vermochte. Die Beteiligung an der vom Staat mehr oder weniger auferlegten Jugendweihe ging in dieser Region gegen Null, es hielt sich eisern die Kommunion und die Firmung. Heilbad Heiligenstadt veranstaltet regelmäßig wunderschöne Palmsonntagsprozessionen, denen schon zu DDR-Zeiten Gläubige aus Ost und West beiwohnten. Eine kleine Sensation. Hier, genauer gesagt in Bornhagen am Fuße der Burg Hanstein, befindet sich der Klausenhof ein historisches Wirtshaus mit feiner regionaler Küche und angeschlossenem Wurst-und Hausschlachtemuseum. Kraftlos durch meine aufkeimende Erkältung ersuche ich Unterkunft, doch die Bedienung antwortet mir nur kühl, dass sie Sonntags keine Übernachtungsmöglichkeiten anbieten, da morgen Ruhetag sei. Etwas planlos steuere ich in die Museumsscheune und komme, als ich mich mit hausschlachtener Wurst eindecke, mit dem Juniorchef ins Gespräch, der mir kurzerhand eine Übernachtung im Heu anbietet. So ein Glück! So eine wunderbare Erfahrung. Anbei begleitend noch ein paar Bilder:

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5 Gedanken zu “Glück auf, Freunde der Heimat!

  1. Hallo Wandersfrau ! Ich hoffe es geht dir wieder gut. Ich lese mit Begeisterung deine Erzählungen , vor allem auf der „Brandenburg “ 😂 Und das goldene M, genauso die Nacht im Heu. Bin richtig neidisch auf dein Abenteuer, in den Tag hinein laufen und leben und jeden Tag etwas anderes erleben. Ich wünsche dir viel Glück mit deinem Zeitplan! Ich drück dich und freue mich wenn du wieder kommst.

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  2. Uta,bin ich froh,dass du wieder gesund bist und weiterlaufen kannst!
    Ich winke dir auf den Brocken!Wenn du jetzt in Richtung Westen guckst,
    dann siehst du meine Heimat.Glück auf!

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  3. Liebe Uta, gut zu lesen, dass du wieder fit bist. Beim Klausenhof musste ich etwas schmunzeln, denn dort habe ich mir eine böse Erkältung eingefangen, mit der ich heute noch zu kämpfen habe. Ich hatte das Vergnügen in der Scheune im rustikalen Zimmer zu übernachten. Also dann, du wirst das schaffen, wann willst du an der Küste sein? Alles Gute! Kati

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      1. Liebe Uta, das war letztes Jahr im September, da war ich auf Dienstreise in der Nähe. Ich bin ab 23.7. an der Küste, da bist du sicherlich schon wieder weg? Liebe Grüße aus dem schönen Thüringen.

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