Das Projekt: Entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze

Die deutsch-deutsche Grenze vs. das Grüne Band

Zwei Ausdrücke, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Eine Grenze teilt, ein Band verbindet. Und auf den Punkt genau ist das ihre Geschichte.

Ich lebe in Stuttgart, bin jedoch 1982 in Werdau/Sachsen geboren und meine Kindheit in der DDR habe ich in sehr guter Erinnerung. Ich habe mich aufgehoben, umsorgt und als Teil einer Gesellschaft gefühlt. Fest eingebunden in ein engmaschiges Netz an Betreuungsangeboten und Freizeitaktivitäten. Einem Kind fällt das nicht auf, aber Individualität war nicht erwünscht. Der Mensch agierte schon von Kindesbeinen an als Teil einer ideologisch geprägten Gruppe, besser gesagt eines perfide durchgeplanten Systems. Was ich als Kind nicht wahrnahm, weil ich es nicht besser wußte und weil ich bedingungslos annahm, was mir gegeben wurde, war für andere eine eine kaum aushaltbare Last. Ein System, in dem es keine Freiheit gab. In dem das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nur in einem vorgegeben Rahmen gedultet wurde, in dem sich untergeordnet wurde und nicht aufbegehrt werden durfte. Kritik vertuscht und Andersdenker kleingehalten wurden. Ein Land, das nicht fähig war, aus seinen Fehlern zu lernen und sich weiterzuentwickeln, da es sich nicht hinterfragte und konstruktive Gegenstimmen nicht gelten ließ, ja sogar Menschenrechte verachtete. Und das sich durch Fehlplanung und Übersubventionierung in den Ruin wirtschaftete. Und doch ein Land, mit dem ich, und da bin ich sicher nicht allein, melancholische Erinnerungen verbinde. „Es war ja nicht alles schlecht.“

Dass dieses Land keinen Bestand haben konnte, war nicht verwunderlich, doch dass sich die Grenze irgendwann einmal öffnen würde, daran gaubte keiner so recht. Auch, weil die Medien bis zum Schluss den Zerfall des Systems vertuscht haben. Und doch ging ein unaufhaltsames Aufbegehren durch die Bevölkerung, was sich, nicht zuletzt dank der Initiative der, in der DDR stark unterdrückten Kirche, zu einer so starken Gegenbewegung formierte, dass es, im wahrsten Sinne des Wortes „Mauern einreißen“ konnte.

Dass diese Grenze, die UNS Deutsche über 40 Jahre lang voneinander trennte, nun ein „Band“ ist, das West- und Ostdeutschland seit fast 27 Jahren wieder eint, ist ein Wunder. Und allein aus dieser Hinsicht für mich ein „erlaufenswerter“ Weg. Das Thema Grenze ist und wird immer ein streitbares Thema bleiben. Ich möchte mich mit ihm auseinandersetzen und mich noch einmal dem „Grenzgefühl“ hingeben. Bei der Teilung Deutschlands handelt es sich um einen so beeindruckenden, beängstigenden und in ihrem Ausgang gleichzeitig Hoffnung machenden Abschnitt deutscher Geschichte, dass ich in diese noch einmal ganz bewußt eintauchen will. Dass ich nun in Stuttgart leben und arbeiten, dass ich ohne Grenzen reisen, mich in den Zug setzen und in meine Heimat fahren kann, dass ich ein Recht auf freie Meinungsäußerung habe und dass es sowas wie Pressefreiheit gibt, ist und darf keine Selbstverständlichkeit sein. Dieser Teil deutscher Geschichte ist greifbar und berührt mich.

Doch warum nennt sich die ehemalige Grenze denn nun das grüne Band?

Vor der Grenze gab es, außer einem 5km breitem Sperrgebiet, zu dem auswärtige DDR-Bürger keinen Zutritt hatten, noch eine 500m breite Schutzzone, die nur zum Zwecke der landwirtschaftlichen Pflege betreten werden durfte und einen baumlosen Bereich zwischen vordesten Grenzzaun und eigentlicher Grenzlinie, der nur zur Entholzung betreten werden durfte.  In diesem Gebiet entwickelte sich aufgrund seiner Unberührtheit zu DDR-Zeiten ein Rückzugsgebiet für seltene Tier-und Pflanzenarten und zählt mittlerweile mit fast 1400km Länge als längstes Biotopverbundsystem in Mitteleuropa, um dessen Pflege und Erhalt sich nach dem Fall der Mauer der BUND kümmert. Der Wanderer hat hier die Möglichkeit zumeist auf dem Kolonnenweg (Lochbetonplatten, die jeden Punkt der Grenze mit einem Fahrzeug erreichbar machen) innerhalb des ehemaligen Grenzstreifens durch einen einzigartigen Naturraum zu laufen.

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Ich kenne verschiedenste Teile des Jakobsweges und habe mich auf den spärlich begangenen Abschnitten immer am wohlsten gefühlt. Auch das ist für mich ein Argument den Grenzweg zu gehen, obwohl er aufgrund seiner lückenhaften Ausschilderung und mangelnden Infrastruktur zu einem kostspieligen Wagnis werden kann. Doch für ersteres gibt es GPS und für zweiteres Zelte. Deshalb nehme ich die Herausforderung an und mache mich mit einer Tüte Gottvertrauen, Offenheit und Optimismus auf den Weg. Das Gute ist ja: wenn ich abbreche, ist der Weg nachhause wenigstens nicht so weit. 😉