Wie fügt sich denn nun der Kolonnenweg, auf dem ich die nächsten 10 Wochen laufen werde, in diese Grenze ein? Was befand sich links, was rechts von mir? Und was sind das für halbseitig mit Beton ausgekleidete Gräben permanent zu meiner Linken? Das zwingt mich, ein bißchen näher einzutauchen, denn ich will ja wissen, mit was ich es hier zu tun habe. Welche Geschichte hat mein grauer, mir zu Füßen liegender Begleiter zu erzählen?
Nach Ende des 2.Weltkrieges teilten sich, wie ja die meisten wissen, die vier Siegermächte (USA, Großbritanien, Frankreich und die UdSSR) Deutschland in vier Besatzungszonen auf. 1949 gründeten sich die DDR und die BRD. Die daraufhin festgelegte Grenzlinie war aber nicht einfach nur Landesgrenze, sondern verbildlichte zwei völlig unterschiedliche Systeme. In militärischer, gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Zwei Länder, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Kapitalismus und Sozialismus, Mehrparteiensystem und Parteidiktatur, Marktwirtschaft und Planwirtschaft standen sich gegenüber. Man kann sich vorstellen, welche Symbolkraft auf dieser Grenze lag und warum man sie überhaupt ziehen musste.
Doch in den folgenden Jahren wanderten immer mehr DDR-Bürgen in den „feindlichen“ Nachbarstaat ab und man büßte wertvolle Arbeitskräfte ein. So kam es, dass man ab 1952 sukzessive die Grenze zu einer immer unüberwindbareren Hürde ausbaute. Man muss zu allererst dazu sagen, dass ausschließlich die DDR den ganzen Terz der Grenzsicherung veranstaltete. Für die Bundesrepublik war die Grenze mehr eine klassische Landesgrenze, eine „grüne“ Grenze, die mit wesentlich weniger Grenzsicherung auskam. (Was das Wort „grüne Grenze“ mit dem Verständnis der DDR bedeutete, dazu später.) So kam es auch, dass sich BRD-Bürger ungehindert bis an die Grenzlinie begeben konnten.
Nicht jedoch auf DDR-Seite. Da spricht man nach offizieller Aussage der SED-Führung vom „antifaschistischen Schutzwall“ der „Aufrechterhaltung des Friedens“ und „dem Schutz vor dem Klassenfeind“. Wobei diese Aussage irreführend ist, denn der eigentliche Sinn der stetig ausgefeilteren Grenzsicherungstechnik richtete sich nach innen, gegen Fluchtversuche der eigenen Bevölkerung und nicht ,wie gerne dargestellt wurde, zum Schutz vor äußerer Gefahr. Ein Land, dass seine Bewohner einsperren musste, zum Bleiben verurteilte und ihnen so die Freiheit nahm, damit es überhaupt bestehen konnte. Ein völlig falscher Ansatz, denn er impliziert von vorherein Unterdrückung und Missstand. Das ist wie der Spruch „Wenn du mich verlässt, bringe ich mich um!“. Welche vertrauenvolle Beziehung soll daraus noch entstehen?
Da also von westdeutscher Seite her keine in dem Maße aufwendige Grenzsicherung erfolge, begann das ganze Brimborium eigentlich erst hinter der Grenzlinie, die mit Hinweistafeln und Kunststoffpfählen gekennzeichnet war. Es folgten schwarz-rot-goldene DDR-Grenzsäulen 3,5m hinter dem Grenzverlauf vor dem eigentlichen Grenzzaun. Bei diesem Gebiet spricht man vom sogenannten „Niemandsland“, was aber im eigentlichen Sinne bereits zum Hohheitsgebiet der DDR gehörte, jedoch nur von ausgewählten Grenzbeamten zum Sinne von Aufklärungs- und Kontrolltätigkeiten betreten werden durfte.
Hinter dem mehr als 3m hohen, mit Stachel- und Meldedraht besetzten Grenzzaun schloss sich ein etwa 1 – 1,5m tiefer Kfz-Sperrgraben an, der einseitig mit dicken Betonpatten ausgekleidet war, um, wie der Name schon sagt, Fluchtversuche mit dem Pkw zu verhindern. Und das genau ist auch der Graben, der mir vom ersten Tag an aufgefallen ist, weil er mich permanent links meines Weges begleitet. Nach diesem Graben folgte ein 6-10m breiter Kontrollstreifen (umgangssprachlich auch Todestreifen genannt), der im Grunde aussieht, wie ein endlos langes Beet, dass regelmäßig geeggt und von Unkraut befreit wurde, um Spuren zu sichern. Jeden Fußabdruck und jede Reifenspur konnte man darin problemlos erkennen. Bis zu diesem Bereich konnte man auf Selbstschussanlagen und Minenfelder treffen. Und nun kommen wir endlich zu „meinem“ Kolonnenweg. Er verlief wiederum parallel zum Kontrollstreifen und diente dazu jeden Punkt der Grenze problemlos mit einem Fahrzeug zu erreichen (Zur Sicherung, NICHT zur Flucht!). Er besteht, wie bereits im Menüpunkt „Das Projekt…“ erwähnt, aus Lochbetonplatten, und somit konnte er leicht mit dem Boden verwachsen. Was mittlerweile ganz nett aussieht, denn aus diesen Löchern tritt naiv und verharmlosend Löwenzahn und Glückklee hervor (lässt sich aber kacke drauf laufen). Auf dem Bild könnt ihr das alles gut erkennen, das ist ein noch erhaltenes Stück Grenze in der Nähe von Mödlareuth.
Weiterhin bediente man sich eines erdverkabelten Grenzmeldenetzes, kleine Telefonsäulen am rechten Wegesrand, die schnelle Nachrichtenübertragungen ermöglichten. Aber damit noch nicht alles, war der Kfz-Sperrgraben unterbrochen oder gab es Zugangsstraßen zum Grenzbereich, verhinderten massive und teilweise gruselig aussehende Straßensperren eventuelle Fahrzeugdurchbrüche. Auch grenzwechselnd verlaufende Flüsse oder Bäche wurden mittels Eisengitter und Alarmanlagen gesichert, um eine Flucht auf dem Wasserweg unmöglich zu machen.
Bis zu 500m hinter der Grenze spricht man vom sogenannten Schutzstreifen, auf dem sich insgesamt 600 Wachtürme, 1000 Erdbunker, Suchscheinwerfer und Laufanlagen für 450 Wachhunde verteilten. Direkt dahinter schloss in einem 5km breiten Gürtel das berühmte Sperrgebiet an. Die wenigen Bewohner der Ortschaften, die es dort noch gab, mussten ein Leben voller Einschränkungen in Kauf nehmen (willkürliche Zwangsaussiedlung, Ausweispflicht und deren unvermittelte Kontrolle, verstärkte Überwachung, Besuche von außerhalb des Sperrgebietes nur mit Genehmigung etc.).
Unter der Telefonnummer 0911 810 940 046 407 (dt.Festnetznummer, keine zusätzlichen Kosten) verbirgt sich ein kurzer, aber spannender Zeitzeugenbericht einer Bewohnerin des Sperrgebietes.
Und nun kommt noch einmal der Begriff „Grüne Grenze“ ins Spiel. Denn obig Beschriebenes (Grenzzaun, Kfz-Graben, Kontrollstreifen, Kolonnenweg) verstand die DDR unter einer grünen Grenze. Das heißt, das war die Grenze, die sich durch die Prärie zog. Verlief sie aber durch einen „hochsensiblen“ Bereich, entlang oder durch eine Ortschaft (oder eine Stadt, wie z.B. Berlin), so kam zu alledem noch eine massive mit Stahlgittern verstärkte Betonmauer dazu, die zusätzlich vor dem Grenzzaun stand und durch ihre Höhe und der zylinderförmigen Abschlussleiste praktisch unbezwingbar war.
Zur Veranschaulichung alles nochmal in Form eines Modells. Auch dieses Bild entstand in Mödlareuth.
Na, überfordert? Ihr seht wie krankhaft groß der Aufwand war, der betrieben wurde, um Menschen vom Verlassen des Landes abzuhalten. Und ihr habt nun eine Vorstellung, wo sich der Weg befindet, dem ich vorhabe bis Boltenhagen zu folgen, was er für einen Zweck erfüllte und wie er sich in die Grenzanlagen einfügt.