Die Welt ist voller Sachsen-Anhalt

Nach dem Orkan und den Strapazen hinter Oebisfelde warten nun neue Grenzweg-Abenteuer auf mich. Mein nächstes großes Ziel nach dem Dröhmling ist Salzwedel. Von hier kommt der Baumkuchen. Ja, richtig gelesen! Nur der originale Baumkuchen kommt aus Salzwedel, das andere ist alles nur billiger Abklatsch. Der Name „Salzwedeler Baumkuchen“ ist geschützt und steht für allerhöchste Qualität (und Preis)! Wisst ihr eigentlich, wie der hergestellt wird? Er wird schichtweise an einem sich drehendem Spieß über offenem Feuer gebacken, dadurch entsteht ein Muster, das den Jahresringen einen Baumes ähnelt, daher der Name. Eine sehr aufwendige Technik, die es überall in Salzwedel in gläsernen Manufakturen zu bestaunen gibt. Ich habe einen kleinen 6-minütigen Videoclip gefunden, der die interessante Herstellungsprozedur zeigt (Und wem danach der Zahn tropft, kann das Zeug gleich auf der Seite bestellen, haha!) :

Wie der Baumkuchen hergestellt wird

Übrigens ist Jenny Marx, eine deutsche Sozialistin und die Frau von Karl Marx 1814 in Salzwedel geboren. Man kann sich vorstellen, dass zu DDR-Zeiten aufgrund der vorherrschenden politischen Verhältnisse ein großer Hype um ihr Geburtshaus gemacht wurde. Dort richtete man ein Museum ein, das sich allerdings schwerpunktmäßig auf das Wirken ihres Mannes und die Arbeiterbewegung konzentrierte. Zwei Räume des Hauses sind ihr mittlerweile noch gewidmet und 1949 hat man anlässlich ihres 135-jährigen Geburtstages eine Straße nach ihr benannt. Eleanor Marx-Aveling schrieb 1895 über sie:

“Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, ohne Jenny von Westphalen hätte Karl Marx niemals der sein können, der er war. Beide paßten vollkommen zusammen und ergänzten sich. […] Und ich glaube mitunter, daß ein Band fast so stark wie ihre Hingabe an die Sache der Arbeiter sie zusammenband – ihr unerschöpflicher, unverwüstlicher Humor.“

In und um Salzwedel ist das Grüne Band wieder in engagierter Betreung des BUND und hat sich damit zu einem ganz besonderen Biotopverbund entwickelt. Wiedervernässung von Auwäldern und Ackerflächen, Anlegen von Flachwasserteichen und ottergerechten Fließgewässern haben dazu geführt, dass sich hier wieder seltene Tierarten angesiedelt haben. Kilometerlange Wildnis pur. Ein bißchen zu wild, der Kolonnenweg ist kniehoch zugewachsen mit Brennesseln, Disteln und Brombeerstäuchern. Nach wenigen Kilometern entscheide ich mich für Asphalt und schlage mittels Kompass eine Querverbindung ein, auf der ich ein kleines Sträßlein erreichen sollte. Eine folgenschwere Entscheidung! Nach der so annehmlich erscheinenden Trockenwiese erreiche ich einen Wassergraben, hinter dem ich mich durch einen breiten Dickichtstreifen kämpfe. Dann wieder abwechselnd Feuchtwiesen, die brusthoch mit Rasen-Schmiele, dem sogenannten Schneidegras, bewachsen sind, auf denen ich regelmäßig mit den Schuhen in kleine Wasserlöcher trete und undurchdringlicher Urwald voller Geäst, kratzender Disteln und stacheligen Beerensträuchern und Brennesseln. Zu allem Überfluss stürzt sich nun noch eine ausgehungerte Hundertschaft Bremsen auf mich. Au, wie das piekt! Nach qualvollen 2km sind meine Beine völlig malträtiert. Blutig, zerstochen und zerkratzt. Ganz zu schweigen von der darauffolgenden ruhelosen Nacht. Die Kratzer sind so großflächig, dass ich eine Schmerztablette nehmen muss, um schlafen zu können und das Gift in den Stichen verschafft mir sogar leichten Schüttelfrost. Die kommenden 7 Tage leide ich unter quälendem Juckreiz. Bremsenstiche sind echt übel! Merke: Versuche niemals das Grüne Band durch Querfeldein-Gänge abzukürzen, es kommt garantiert schlimmer, als es sowieso schon ist!

Zur Entschädigung erreiche ich nach dieser folgenreichen Eskapade den idylischen Arendsee und einen meiner bisher schönsten Zeltplätze. Bei einem abendlichen Spaziergang am Ufer leistet mir eine kontaktfreudige Familie Gesellschaft. Während die Kinder Plötzen angeln und die Mutter ihren im Wasser herumtollenden Hund vom Ufer aus beobachtet, erzählt mir der Vater auf einem Steg, dass es sich bei dem Gewässer um den größten natürlichen und mit 51m gleichzeitig tiefsten See Norddeutschlands handelt. Er liegt auf einem Salzstock, der durch das tiefe Grundwasser und den daraus bedingten Auslaugungen in regelmäßigen Abständen zu Einbrüchen führt, zuletzt 1685, bei dem der Sage nach ein ganzes Dorf versunken sein soll (In Wirklichkeit war es nur die Mühle, die man aber in klaren Sommernächten auf dem tiefen Grund des Sees sehen soll.). Ein paar Kilometer weiter an der bewaldeten Uferpromenade entlang kettet sich eine aufgedrehte Gruppe Jugendlicher an mich, die Überbleibsel eines Junggesellenabschiedes. Wir albern einige Zeit an einem Steg herum, bevor sie mich zurück in die Zivilisation geleiten. Vorbei an einer alten FDGB-Ferienheim-Ruine durch einen zappendusteren Wald, indem Glühwürmchen die einzigen Lichtpunkte bilden.
Am nächsten Tag verlasse ich den touristisch erschlossenen Arendsee über Kiefernforste und Heide- und Dünenlandschaft auf sandigem Boden in Richtung Elbvorland. Die Landschaft ändert sich nun schlagartig und verleiht der Region einen völlig anderen Charakter. Zwischen dem anhaltinischen Bömenzien und dem niedersächsischen Schnackenburg sind die Bauarbeiten zum Hochwasserschutz in vollem Gange. Auf einem großen Areal entsteht ein Deich um den in die Elbe fließenden Flusses Aland, der mit dem Abraum eines künstlich angelegten Sees geschaffen wird. Die Alandpolder, ein eingedeichtes, niedrig gelegenes Gelände rund um den Fluss, sowie das Deichvorland der Elbe hat mit einer Vielzahl von Gewässern und ausgedehnten Feuchtgrünländern ein ganz eigenes Biotop ausgebildet. Ich kenne mich zwar nicht besonders aus, aber selbst als Laie erkenne ich artenreiche Gebiete anhand der unzähligen, oft unbekannten Vogelstimmen, sehe seltene und vor allem viele Tiere und erkenne die Pflanzenvielfalt. Wenn ich ihnen auch in den wenigsten Fällen einen Namen geben kann( Manchmal wünschte ich, mich würde so ein kleiner „Andreas Kieling“ begleiten…Au, wäre das toll! )

Diese Diashow benötigt JavaScript.

In Schnackenburg ist es dann soweit, ich erreiche die Elbe. Und während ich auf die Fähre warte, die mich auf die andere Seite des Flusses bringen soll, lerne ich vier, mir auf Anhieb symphatische Angler aus Rottweil kennen. Ich bin ehrlich, mich überkommt ein leichtes Gefühl des Heimwehs, zumindest aber der Vertrautheit, als ich nach so vielen Wochen zum ersten Mal wieder den Dialekt Baden-Württembergs vernehme. Nur schwer kann ich mich von der aufgeweckten Gruppe losreißen, die sich zum Angeln auf die anderer Elbseite an die Buhnen setzen wollen. Zu verlockend ist die Aussicht auf ein gemeinsames abendliches Bier und lebendiger Gespräche in Schnackenburg. Aber ich muss weiter, mein Zeitpan ist straff und in Lenzen wartet erneut ein Zeltplatz auf mich. Mit dem Anlegen der Fähre verlasse ich die Altmark und betrete feierlich nach rund 340km Grenzweg in Sachsen-Anhalt brandenburgischen Boden.

Ein kurzes Vergnügen, das nur 27km weilen soll…

Am anderen Ufer wartet ein ominöser Fotograf, der uns ungefragt wie ein Paparazzi mit seiner Linse fokussiert. Es ist Gerhard Baak, ein pensionierter und passionierter Hobbyfotograf, der bei gutem Licht in der Region um Havelberg und Hitzacker auf der Suche nach Fotomotiven ist. Sein Thema: „Die Elbe verbindet“. Und sein Motiv waren wohl heute wir. Ich treffe ihn einen Tag später kurz vor Dömitz, nachdem mich bereits mehrere Leute im Vorbeigehen angesprochen haben, dass ich von einem gewissen Herren gesucht werde. Naja, auf diesem Weg geht man nicht verloren, man kann sich auch nicht verdrücken und so zwangsläufig irgendwann ausfindig gemacht werden. Besonders, wenn man, wie ich, einen Atom-Rucksack auf dem Rücken trägt und sich wandernd inmitten von Fahrradfahrern auf dem Elberadweg fortbewegt.

Ein Gedanke zu “Die Welt ist voller Sachsen-Anhalt

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s