
Obligatorischer Kirchenbesuch in der schönen, mit dunklem Holz ausgekleideten St. Trinitatiskirche in Bad Elster. Ein kleiner Brauch, den ich mir auf dem Jakobsweg angewöhnt habe, bevor ich meine Wanderung beginne. Ich gehe noch einmal in mich und mache mir bewußt, was in den nächsten Wochen auf mich zu kommt. Ich bete, oder zumindest sowas in der Art, und wünsche mir einen guten Geist, der mich begleitet, mich vor Krankheit und Unheil bewahrt und mir Optimismus schenkt. Ja, ich denke, das sind so ungefähr die Sachen, die vor einer langen Reise wichtig sind. Und diese Art der Besinnung geht in Kirchen nun mal am besten. Es wird anstrengend. Es wird an meinen Kräften zehren, mich an meine Grenzen bringen und immer mal wieder Überwindung kosten. Dann frage ich mich oft, wieso ich das mache. Das ist der Punkt, an dem man für gewöhnlich dazu neigt aufzugeben. Doch ich weiß mittlerweile, dass das nur Phasen sind und keine Situation von Dauer ist. Man kann aus jedem Tiefgang wieder hinauslaufen. Irgendwann zieht jede dunkle Wolkendecke wieder auf. Umgekehrt genauso. Das ist die Gewissheit, die mich nicht aufgeben lässt.
Ich habe Respekt vor diesem Weg. Ich weiß nicht, was mich erwartet. 1400km, das ist echt „ne Nummer“ (um es in Katrins Worten zu sagen, aber dazu später). Die Zeit ist knapp, viel Puffer habe ich nicht eingeplant. Ich habe Angst, dass ich zu oft den Weg verlassen muss, um Unterkünfte zu finden. Schließlich verläuft der Kolonnenweg im ehemaligen Sperrgebiet, dass es hier wenige Ortschaften und somit Infrastruktur gibt, liegt doch in der Natur der Sache? Auch der permanente Gang auf den Lochbetonplatten könnte sich als schwierig erweisen. Und dann ist da noch die fehlende Zivilisation. Werde ich die Einsamkeit aushalten? Die fehlenden zwischenmenschlichen Kontakte? Kein Mensch läuft an der Grenze entlang, wenn es sich nicht gerade um den Harz oder den Rennsteig handelt. Alles Mutmaßungen! Toi, toi, toi.
Gleich zu Beginn eine erste aufrührende Begegnung. Keine zwei Kilometer hinter Bad Elster in Richtung dem tschechischen Hranice fragt mich ein etwa 60-jähriger Fahrradfahrer im Vorbeifahren, wo ich denn hinlaufe. (Übrigens: Grenzsicherung seitens der DDR erfolgte sogar im benachbarten Ausland, weil man den Bruderstaaten nicht traute, deswegen beginnt die eigentliche Grenze nicht erst am Dreiländereck Sachsen-Bayern-Tschechei, sondern bereits 6 km davor.) „Zur Ostsee.“, antworte ich und da er nicht recht verstanden hat, fragt er mich, ob ich den Kammweg laufe, der sich vom östlichen Erzgebirge bis nach Blankenstein in Thüringen zieht. „Nein, ich laufe an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze entlang. “ Und schon habe ich seine volle Aufmerksamkeit. Er steigt vom Fahrrad und läuft nun eine Weile schiebend neben mir her. Er erzählt mir, dass er früher selbst als Grenzpolizist gearbeitet hat und hält mir eine Abhandlung über der Aufbau einer innerdeutschen DDR-Grenze. (Sehr interessant! Das Ergebnis ist übrigens nachzulesen unter dem Menüpunkt „Aufbau der Grenze“.) Zwei Wochen nach der Wende verliert er seine Arbeit und im November 1989 bricht er mit seinem Kumpel auf und gemeinsam laufen sie die komplette, damals noch intakte Grenze ab. Fünf Monate soll diese Reise dauern. Von November bis April. Einen ganzen Winter lang und einen halben Frühling. Mit Zelt. Ich frage, warum das so lange gedauert hat, in meinem Wanderführer wäre die Strecke mit 60 Etappen veranschlagt. „Mensch, Mädel! „, sagt er, „Es gab damals noch keinen offiziellen Wanderweg, keine Hinweisschilder, keine Übernachtungsmöglichkeiten so wie heute! Das war direkt nach der Wende. Der Kolonnenweg war einen halben Meter tief im Schnee versunken, wir mussten ständig irgendwelche Umwege machen.“ Warum sie sich dann keine andere Jahreszeit ausgesucht hätten? Darauf keine eindeutige Antwort. Er schob es darauf, dass er nicht warten wollte, bis die DDR-Mark verfällt und er sowieso arbeitslos war. Aber vielleicht war das auch einfach die Art eines Grenzpolizisten zu verarbeiten, was da passiert ist…
So geht, aber nicht ohne einem reichhaltiges Essen aus böhmischer Küche, mein erster Lauftag in rauer, kühler Frühlingsluft zuende. Mein Rücken hat mich aufgrund einer permanenten Ibu-Dröhnung völlig in Ruhe gelassen und ich lustwandle vertraut und von Glückseeligkeit erfüllt über gelobten sächsischen Heimatboden.
Auf dem Weg in die Pilgerunterkunft nach Hof steigt in den Minibus eine Frau Mitte 40 mit auffallender Wanderkleidung und mittelgroßem Rücksack ein und setzt sich neben mich. Das ist Katrin, eine Goldschmiedin aus Köln, die einen Monat ebenfalls auf dem grünen Band unterwegs ist. Sie ist passionierte Wanderin mit rheinischer Leichtigkeit und jeder Menge Humor. Und doch schätzt sie die Ruhe und ist in entscheidenden Momenten ersthaft. Ein mir auf Anhieb sehr symphatischer Mensch und am nächsten Tag sitzen wir durch Zufall wieder in dem selben Bus um nach Ullitz zurückzukehren, der Ort, an dem wir unsere Etappe am Vortag beendeten. Wie selbstverständlich laufen wir an diesem Tag zusammen und obwohl mich die Fülle unserer Gespräche mitunter ein wenig anstrengt, da ich ein eher ruhebedürftiger Mensch bin, ist mir ihre Gegenwart so selbstverständlich, erfrischend, aufmunternd und vertraut. Bis auf meinen Ex und Steffi, meiner besten Freundin, habe ich mich noch nie laufend an der Seite eines Menschen so wohl gefühlt.



Liebe Uta, es ist so schön, von dir zu lesen. Do schreibst wirklich gut und verpackst spannende Infos dezent. Es macht Spaß, dich zu lesen!
Mach weiter und halte uns auf dem Laufenden (!), auch wenn es schwer fällt.
🙂
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