Die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung in der DDR, die zunehmende politische Distanz junger Menschen, das Schwinden der Glaubwürdigkeit des SED-Regimes, die permanente Reformverweigerung und die Unterdrückung von Widerstand führen das System Anfang der 80-er Jahre in eine tiefe politische Krise. Hinzu kommt der drohende Staatsbankrott und der ökonomische Niedergang einer veralteten und völlig rückständigen Industrie. Die Werke sind in miserablen Zuständen, es fehlt an Ausrüstung und modernen Maschinen, was zu Umweltbelastungen und Gesundheitsgefährdung der Belegschaft führt. Die Motivation der Arbeiter ist an einem Tiefpunkt angelangt.
Die wachsenden Rohstoffkosten erfordern zusätzliche Einnahmen durch verstärkte Exporte. Gleichzeitig verringern sich aber die Erdöllieferungen aus der UdSSR und damit können wiederum weniger, für den Devisenerhalt so notwendige Erdölprodukte ausgeführt werden. Konsum- und Gebrauchsgüter werden im Ausland zu Ramschpreisen verkauft, während die eigene Bevölkerung im Mangel lebt. Die DDR verliert den Anschluss an Globalisierung, Dienstleistungsorientierung und Technologie.
In der Sowjetunion leitet derweilen Michail Gorbatschow ab Mitte der 80-er Jahre eine Reihe von Reformen unter dem Mantel „Glasnost und Perestroika“ ( Offenheit und Umgestaltung) ein und versucht auf diese Weise sein Land aus der dort ebenfalls entstandenen Krise zu ziehen. Die DDR unter Honecker verweigert sich jedoch diesen Reformen und verliert dadurch eine elementare Stütze.
Unter dem Dach der evangelischen Kirche formieren sich 1982 erste Gegenbewegungen in Leipzig, anfangs noch als Montagsgebete, später als Massendemonstrationen. Die Auflösung der ungarisch-östereichischen Grenze erzeugt einen massiven Flüchtlingsstrom. DDR-Bürger besetzen die Botschaft der Bundesrepublik in Prag, um ihre Ausreise zu erzwingen. Die Staatsführung reagiert mit dem Einsatz von Flüchtlings-Sonderzügen von der Tschechei über das Gebiet der DDR, um die Situation zu entschärfen, die jedoch durch einen nicht einkalkulierten Dominoeffekt eskaliert. Ebenfalls Fluchtwillige versuchen die Züge zu stürmen und aufzupringen. Nach und nach weichen auch die Ausreiseverbote in den übrigen Unionsrepubliken auf, die sowjetischen Reformen zeigen Wirkung. Und die DDR wird zum starrsinnigen Einzelkämpfer, die der wachsenden und immer stärker werdenden Opposition kaum mehr standhalten kann. Am 18.10.1989 verkündet Erich Honecker auf Druck des SED-Politbüros seinen Rücktritt, selbst die Parteigenossen begreifen ihn mittlerweile als sturen, alten Mann, der keine Veränderungen zulassen will. Auch wenn der folgende Beitrag mit einer Rede Erich Honeckers anfangs ermüdend wirkt, es lohnt sich ihn bis zum Schluss anzuhören, er verfehlt garantiert nicht seine Wirkung. Erschreckend oberflächlich, ignorant und so realitätsfern, dass man sich das Lachen verkneifen muss. Schockierend, dass dieser Mann ein Staatsoberhaupt war und es geschafft hat, ein ganzes Land zu unterdrücken. Der Sound des Untergangs:
Am 30.10.1989 beteiligt sich eine Rekordzahl von 200.000 Menschen an der Montagsdemonstration in Leipzig. Die größte Protestkundgebung in der Geschichte der DDR findet wenig später am 04.11.1989 mit 500.000 Teilnehmern am Berliner Alexanderplatz statt. Spätestens jetzt ist das Staatsregime überrollt.
Am 09. November 1989 um 19Uhr verkündet Schabowski vor Presse und Fernsehen irrtümlicherweise die uneingeschränkte Reisefreiheit als „sofort, unverzüglich“, obwohl bisweilen noch die Genehmigung durch den Ministerrat fehlte. Doch damit löst er einen Ansturm auf die innerdeutschen Grenzübergänge aus und noch in dieser Nacht werden unter dem Druck der Massen nach und nach die Grenzen zur Bundesrepublik Deutschland geöffnet.
Es ereignet sich eines der größten deutschen Freudensfeste in der deutschen Geschichte. Ost- und Westdeutsche strömen aufeinander zu und umarmen sich unter Freudentränen. Sie tanzen, singen und lachen miteinander. Es spielen Kapellen, es knallen die Sektkorken, man feiert gemeinsam die ganze Nacht. Die Grenzen sind überwunden- die DDR kapituliert.
Die weitere Entwicklung ist nun noch reine Formsache. Der Wunsch nach einer Wiedervereinigung wird lauter. Im März 1990 kommt es zu den ersten und letzten demokratischen Wahlen in der DDR, am 01. Juli tritt die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen BRD und DDR in Kraft und im September desselben Jahres regelt ein „Vertrag über die Wiedervereinigung“ den langersehnten Beitritt der DDR zur BRD. Wir schreiben den 03.10.1990. Der Tag der deutschen Einheit.
Eine Ära geht zuende. Und für mich eine bewegende, interessante und prägende Zeit. Am 07.Juli 2016 um 19.20Uhr erreiche ich nach 10 Wochen Laufzeit das Ende des 1393km langen Kolonnenweges. Er biegt in der Nähe des unscheinbaren Ortes Steinbeck im rechten Winkel nach links in Richtung Küste ab und kippt nach 100m geradezu in einen Haufen riesiger Findlinge, der als klägliche Steinbuhne in der Ostsee verschwindet. Als wäre es ein Sinnbild…
Es ist aus, vorbei, Ende, finito, finished. Sie haben ihr Ziel erreicht.
Weitere 9km und ich erreiche Boltenhagen, in dem bereits Roland „aus dem Moor“ (Ihr erinnert euch? Er betreibt den Imbiss mit der berühmten Schwarzmoorbratwurst in der Rhön.) und die zweite Halbzeit des Halbfinales der Fußball-EM auf mich wartet.
Schicksalhaft? Auf diesen letzten 9km zieht die bis dahin undurchdringbar scheinende Wolkendecke plötzlich auf, das Meer spiegelt das goldene Licht der Abendsonne und mein Weg verwandelt sich in einen schmalen Pfad entlang einer romantischen Steilküste, der sich einsam und manchmal gefährlich nah an der Abbruchkante des Kliffs entlangzieht. Rechts abwechselnd Raps- und Maisfelder in denen Mohnblumen und Kamille bunte Akzente setzen, links zieht der Geruch von Beifuß und salziger Meerluft zu mir auf. Ein wenig daneben fällt die Klippe 30m steil zu einem mit Geröll bedeckten Strand ab, auf dessen sich Möwen und Schwäne friedlich zur Nachtruhe stimmen. Vergessen sind die unfreundlichen Radfahrer und die ernüchternden menschlichen Begegnungen. Hier werde ich allmählig wieder Mensch, als ob ich es ohne die heutigen Enttäuschungen nicht ausreichend zu schätzen gewußt hätte. In Boltenhagen werden die Menschen plötzlich zugänglicher, grüßen freundlich und lassen sich wieder auf die schmerzlich vermissten Smalltalkes mit dem Hauch von Tiefgang ein.
Und wenn es ein Lächeln ist, ein kurzer Gruß, ein Hauch des gegenseitigen Interesses oder eine kleine Höflichkeit, die einem das Gefühl gibt, dass man geschätzt wird. Menschen, die sich mir mit diesen kleinen Gesten nähern, obwohl ich ihnen fremd bin, die sich für einen kurzen Augenblick aus ihrem Alltag reißen lassen und sich etwas Neuem öffnen, sind Menschen, deren Eigenschaften mir als ganz besonders wertvoll in Erinnerung bleiben. Mittlerweile haben meine Werte ihre Priorität geändert. Die Seele hat sich nach außen gekehrt und die Äußerlichkeiten nach innen. Ich wünsche mir, dass ich irgendwann all das zurückgeben kann, was ich in den letzen Monaten bekommen habe. Und ich wünsche mir, dass ich mir die Fähigkeit behalte, selbst offen und vorurteilsfrei mit Fremden umzugehen.

Spitze und herzlichen Glückwunsch zum Erreichen des Ziels. VG, Wolfram
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